Autonummernscanner – Sicherheit oder die Totale Überwachung?

Aus aktuellem Anlass ein Beitrag von mir vom Januar 2012. Ursprünglich veröffentlicht auf Politnetz:

Bereits damals hatte ich Mühe mit den Autonummernscannern auf Thurgauer Autobahnen. Heute beinahe 8 Jahre später hat auch das Bundesgericht festgestellt (PDF), dass es dafür keine genügende gesetzliche Grundlage gibt:

Hier mein Beitrag von damals:

Im Dezember 2011 nimmt die Kantonspolizei Thurgau ein automatisiertes Scannersystem für Autokennzeichen in Betrieb. Nach einigen Protesten, insbesondere in den Online Medien gibt der Datenschützer des Kantons grünes Licht (1). Ernst Frei wird in dem Artikel zitiert: «Wer nicht in der Fahndungsdatei der Polizei auftaucht, wird gar nicht erfasst.»

Einen Tag später wird ebenfalls in der Thurgauerzeitung ein Interview mit Regierungsrat Claudius Graf-Schelling abgedruckt (2). Darin betont der Justizdirektor: «Erfasst werden auch Personen, die mit dem Auto unterwegs sind, obwohl ihnen der Führerausweis entzogen wurde oder obwohl sie über keine Versicherungsdeckung verfügen. Unbescholtene Personen werden weder erfasst noch gespeichert.»

Eine Anfrage von Blogger Claudio Sprenger (3) bei der Kantonspolizei Thurgau wurde sehr ausführlich beantwortet und bestätigte die beiden Artikel aus dem Thurgauer Tagblatt.

Soweit scheint die Welt ja völlig in Ordnung und die Sicherheit der Bürger ist durch den Nummernscanner deutlich verbessert worden.

Heute, knapp 1 Monat später greift das Schweizer Fernsehen und der Blick das Thema auf und berichten von positiven Resultaten, insbesondere bei sogenannten “Schwarzfahren” (4), also Lenker ohne gültigen Fahrausweis. Brisant an dem Artikel ist folgende Aussage: Findet der Scanner ein Auto, dessen Fahrer eigentlich nicht fahren dürfte, macht er ein Bild. So kann man in der Einsatzzentrale überprüfen, ob nicht etwa die Ehefrau am Steuer sitzt, wenn dem Mann der Ausweis entzogen wurde.

Es werden also nicht wie in den Anfangs erwähnten Artikeln die Autonummern gescannt, sondern gleichzeitig ein Foto des Fahrers gemacht.
Dies bestätigt auch ein Bericht des Schweizer Fernsehens in der Sendung 10vor10 vom 11. Januar 2012 (5)
Im Einleitungstext heisst es: “Fahrer, die ein Auto geklaut haben, die Versicherung nicht bezahlt haben, oder ohne Fahrausweis unterwegs sind, werden geblitzt.” Da stellt sich mir die Frage, ob nicht noch andere Datenbanken als die RIPOL-DB für die Identifikation von Fahrzeugen und Lenkern verwendet werden.
Ein Beamter der Kantonspolizei Thurgau bestätigt im Beitrag, dass bei einem “Treffer” auch ein hochauflösendes Bild des Fahrzeuglenkers geschossen. Ein unkenntlich gemachtes Foto im Hintergrund bestätigt die Aussage.

Mir stellen sich aufgrund der Zeitungsartikel und des Filmbeitrags einige Fragen im Zusammenhang mit dem Datenschutz.

Was passiert mit den Fotos, wenn sich herausstellt, dass der Lenker keine Gesetze übertreten hat, sondern vielleicht nur das Auto eines Kollegen ausgeliehen hat?
Welche Datenbanken sind mit der RIPOL-Datenbank (6) verknüpft? Die Faber Datenbank ist sicherlich angebunden. Vermutlich auch die Daten der Strassenverkehrsämter (nur Thurgau?) und des Informationssystem Ausweisschriften (8)
Sind Bestrebungen im Gang, weitere Information mit den aufgezeichneten Autonummern zu verknüpfen?
Wer kontrolliert in Zukunft, ob das System nicht (möglicherweise unbewusst) erweitert wird (z.B bei der Integration zusätzlicher Datenbanken ins RIPOL System)
Ein System das auf den ersten Blick sehr sinnvoll aussieht und uns einiges an Sicherheit bringen soll. Aber auch ein System, dass mit etwas Fantasie sehr ausführliche Bewegungsprofile erstellen kann und bei einem weiteren (bereits geplanten) Ausbau die Verkehrsteilnehmer unter Generalverdacht stellt. Eine präventive Überwachung, die zum Teil die Unschuldsvermutung untergräbt und dadurch doch ein ziemlich mulmiges Gefühl auslöst. Dies bestätigen auch die kurz interviewten Fahrzeuglenker im 10vor10 Beitrag.
Auch wenn alles gesetzlich und moralisch in Ordnung zu sein scheint, Finger drauf und kritisch bleiben.

Quellen:

(1) http://www.thurgauerzeitung.ch/ostschweiz/thurgau/kantonthurgau/tz-tg/art123841,2778551

(2) http://www.thurgauerzeitung.ch/ostschweiz/thurgau/kantonthurgau/tz-tg/art123841,2805343

(3) Anfrage/Blogbeitrag von Claudio Sprenger beim Kt. Thurgau:
http://claudiosprenger.ch/2011/12/kontrollschilderkennung-thurgau/

(4) http://www.blick.ch/news/schweiz/thurgauer-scanner-erwischt-eine-peson-am-tag-191718

(5) Beitrag 10vor10 vom 10. Januar 2012:

(6) Verordnung über das automatisierte Polizeifahndungssystem (RIPOL-Verordnung): http://www.admin.ch/ch/d/sr/3/361.0.de.pdf

(7) Erklärung des BR zur Erfassung von Führerausweisentzügen in der RIPOL-DB: http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20093772

(8) Informationssystem Ausweisschriften (ISA): http://www.schweizerpass.admin.ch/content/pass/de/home/ausweise/allgemeines/datenbank_isa.html

Update: Autonummernscanner – Sicherheit oder die Totale Überwachung?

Es scheint, dass sich meine Bedenken zu den automatischen Autonummernscannern schneller bewahrheiten als gedacht – zumindest in Deutschland.

In einem am 15. Januar veröffentlichten Bericht der Online-Magazins Heise sind auf einer US-Enthüllungsplattform Dokumente aufgetaucht. Die Dokumente lassen sich unter dem Titel “Recht und Praxis der anlassbezogenen automatischen Kennzeichenfahndung, Verkehrsdatenabfrage und Mobilfunkortung zur Gefahrenabwehr in Brandenburg” anschauen(1).
Das Gutachten wurde vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht verfasst

Im Bericht werden verschiedene Fragen zur Praxis der Nummernscanner beantwortet:

Es wird explizit bejaht, dass auch Überwachungen von Nummernfragmenten regelmässig angewendet werden, zum Beispiel bei Fussballspielen)
Wie viele Kennzeichen können gleichzeitig erfasst werden? Antwort: 2 Kennzeichen pro Sekunde bei einer Fehlerquote von 4%! Dies aufgrund verschmutzter oder unleserlicher Kennzeichen
Das System ermöglicht Fahndungen, die nicht alleine auf Kennzeichen beruhen, sondern ganze Gruppen erfassen können (zum Beispiel Rocker, Hooligans usw.)
Eine Verkehrsüberwachung, bei der alle Fahrzeuge erfasst und gespeichert werden sind auf richterliche Anordnung hin ebenfalls zulässig
Die Fakten sprechen für sich: Gemäss Heise kommen durchschnittlich 5 Scanner während einer Einsatzdauer von 24h auf 9600!!!! falsch eingelesene Kennzeichen.
Eine Zahl, die sicherlich auch den Datenschützer im Kanton Thurgau interessieren müsste.
Zudem meinte ich, dass aufgrund solcher Tatsachen mind 1x jährlich die Systeme ausgewertet und überprüft werden müssen.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass der Bericht nicht stellvertretend für die Situation im Thurgau steht. Er bestätigt jedoch die Möglichkeiten und insbesondere auch die Bedürfnisse, die ein solches System wecken kann.

(1) http://info.publicintelligence.net/MaxPlanckInstitute-Report.pdf

(2) http://www.heise.de/ix/meldung/Interne-Papiere-ueber-Rasterfahndung-in-Brandenburg-geleakt-1413299.html