Es fehlt der Stadt an Gespür, Wille und starkem Auftreten
Die Stadt St.Gallen will wachsen, sie will ökonomisch und ökologisch attraktiv sein. Ich habe gar nichts dagegen. Nur kommt immer wieder das Gefühl auf, dass sie das zusammen nicht unter einen Hut bringt oder besser, bei der Umsetzung kein wirklich gutes Gespür hat.
Aktuell zeigt sich das an der Girtannenstrasse. Aus meiner Sicht soll die Helvetia Versicherung dort bauen und ja, sie darf/soll auch grosszügig bauen. Das Stadtparlament hat ihnen das auch mit einer Zonenplanänderung genehmigt.
Nun liest man, dass die Überbauung eine Tiefgarage mit 95 Stellplätzen bekommt. Dies bei einer Anzahl von 39 Wohn- und Büroeinheiten. Also mehr als 2 Stellplätze pro Einheit. Versteht mich richtig. Eine Tiefgarage macht absolut Sinn und die darf aus meiner Sicht sogar über mehr als 100 Plätze vefügen, wenn jemand seine Oldtimerflotte darin parkieren möchte 😉
Das Hauptproblem ist der Verkehr, der durch die Ein- und Ausfahrten entsteht und dieser entsteht eben nicht nur unmittelbar vor der Garageneinfahrt sondern zieht sich durch das ganze Quartier. Hier muss die Stadt definitiv mehr Feingefühl zeigen. Wer in Zukunft die Liegenschaft mit der VBSG erreichen will, wird wohl auf die Linie 5 setzen und an der Haltestelle „Uni/Dufourstrasse“ ein- und aussteigen. Die Verbindung fährt unter der Woche im 10min Takt, was sicherlich ok ist. Nur liegt die Haltestell quer in der Landschaft. Hier müsste sich die Stadt ernsthaft Gedanken machen, ob es nicht eine zusätzliche Haltestelle Zwischen Uni/Dufourstrasse und Obere Leimat braucht. Tut sie das nicht, dann wird der Verkehr definitiv zunehmen.
Noch weiss ich nicht genau, was da kommt. Tatsache aber ist, dass die Stadt verpflichtet ist, hier für eine sinnvolle ÖV Anbindung zu sorgen, damit der Verkehr verträglich bleibt.
Das fehlende Gespür und der teilweise mangelhafte Wille, die eigenen Konzepte und Vorgaben der Bevölkerung umzusetzen zeigt sich leider auch sonst immer wieder. Sei es die 18! Meter breite Rorschacherstrasse im Neudorf, die in den letzten Tagen aufgrund der Hitze ein regelrechter Backofen war, der Leistungsabbau bei der VBSG am Schibenertor, sei es die trostlose Teufenerstrasse mit ihren beigen Mehrzweckstreifen im Riethüsli, die wiedersprüchlichen Handlungen beim Bypass „Unterer Graben“, die 1:1 Umsetzungsplanung der Platztorkreuzung, oder auch das Versprechen, dass der Anschluss Güterbahnhof kein Mehrverkehr bedeutet, die St.Leonhardsbrücke aber trotzdem verbreitert werden muss….
Selbstverständlich gibt es auch positive Beispiele. Wobei positiv hier eher ein Euphemismus ist. Denn letztlich sind das die Aufträge an die Stadt, die sie von den Bürgerinnen und Bürgern erhalten hat und umsetzen muss.
Die Stadt ist definitiv gut beraten, wenn sie offensiv und stark auftritt und konsequent ihre Konzepte und Reglemente durchsetzt. Zur Zeit präsentiert sie sich sich sehr schwach auch kommunikativ. Die Konsequenz daraus? Das Stadtparlament ist gezwungen, den Direktionen auf die Finger zu klopfen und Geschäfte zurückzuweisen, weil sie die Vorgaben nicht erfüllen (Beispiel. St.Leonhardstrasse) oder aus der Bevölkerung kommen Einsprachen und Initiativen die zu massiven Verzögerungen führen, selbstverständlich mit Kostenfolge.
Klar, einiges davon ist politischer Alltag und alle werden nie zufrieden sein. Das muss und soll auch so sein, die Rechtsmittel stehen ausser Diskussion. Und trotzdem kann man viele Punkte bereits im Vorfeld abhaken, wenn man denn eben entsprechend vorbereitet ist. Auf die Nennung weiterer Beispiele verzichte ich. Genau so wie ausnahmsweise auch auf die Verlinkungen zu den bereits genannten Beispielen. Ihr könnt dazu hier auf #kurzverbloggt eine Suche starten oder um in Zukunft nichts zu verpassen meinen Newsletter abonnieren 😉
Schöne Grüsse aus den Kurzferien.
Lieber Marcel
Mit deiner Aussage „Die Stadt ist definitiv gut beraten, wenn sie offensiv und stark auftritt und konsequent ihre Konzepte und Reglemente durchsetzt.“ triffst du aus meiner Sicht ins Schwarze. Beim Projekt der Helvetia sehe ich persönlich folgende Herausforderungen:
1. Umsetzung der Strategien, Konzepte und Reglemente durch die Stadt
2. Ausrichtung des Sondernutzungsplans
3. Prozessgestaltung, Kommunikation und Vertretung der Bürger seitens Stadt
Zu Punkt 1:
Nicht nur die Verkehrs-/Parkplatzplanung im Sondernutzungsplan ist stossend, sondern es werden auch viele weitere vernehmlasste Strategien und Konzepte nicht genügend berücksichtigt (u.a. Innenentwicklungsstrategie 2021 „Hanglagen schützen“, Freiraumstrategie 2021, Umweltkonzept 2020 „Anpassung an Klimawandel“, Baumstrategie 2020, Stadtklima 2020 „Hitzeminimierung“).
Da ist es aus meiner Sicht Aufgabe des Stadtrats und auch des Parlaments, die Einhaltung und Kontrolle der Wirksamkeit ihrer Arbeit in der gesamten Verwaltung zu fördern und zu verbessern. Messbare Ziele bei der Vernehmlassung der Konzepte, jährliche Berichterstattung und allenfalls monetäre Folgen bei Nichteinhaltung im konkreten Einzelfall wären Ansätze dafür.
Zu Punkt 2:
Nach einer Aufklassierung der Bauzone von W3 zu WG4 im 2019 sollte ein Sondernutzungsplan hoffentlich eher einschränkenden und qualitätssteigernden Einfluss nehmen und nicht die Bauzone stark in Richtung WG5 erweitern (z.B. Länge 100 m statt 60 m, Gebäudeabstand 4 m statt 18 m). Ebenfalls ist die Abschöpfung des Mehrwerts zu klären.
Meines Wissens gibt es keine einsehbare Regelung, wann die Sondernutzungspläne durch den Stadtrat freigegeben werden und wann sie ins Parlament kommen. Ebenfalls wäre es sinnvoll, wenn bereits bei Auslösung eines Sondernutzungsplans die wesentlichen Ziele festgelegt werden. Das würde den Gesamtprozess (vgl. auch Punkt 3) deutlich zielgerichteter und effizienter machen.
Zu Punkt 3:
Der Projektverlauf weist bis jetzt (der zweiten Partizipation) zumindest aus meiner Sicht ein paar spezielle Gegebenheiten auf. Folgend ein paar Beispiele:
– Noch beim Erweiterungsbau von Herzog/de Meuron wurde kommuniziert, dass die Wiese in den nächsten Jahrzehnte nicht überbaut werden würde.
– Die Anpassung der Bauzone wurde in den Sommerferien und ohne direkte Information der Anwohner lanciert.
– Die Vorgaben für den Architekturwettbewerb (dessen Ergebnis Grundlage für den Sondernutzungsplan bildet) sind nicht öffentlich bekannt oder gar abgestimmt. Das Beurteilungsgremium war sehr architekturlastig besetzt und hat entsprechend entschieden (z.B. wurde auf ein Attikageschoss zum Schutz der bestehenden Helvetia-Bauten verschoben, Anwohner und die Natur waren weniger wichtig).
– Die Einladung für die erste Partizipation zum Sondernutzungsplan im 2021 wurde keine zwei Wochen vorher verschickt. Das Ergebnis ist nicht einsehbar.
– Der Bau wird mit „Arbeitsplatz Bedarf Helvetia“ begründet. Im Sondernutzungsplan wird jedoch nur ein Wohnanteil von mindestens 40% festgelegt. Es könnten also auch 100% werden („Renditeobjekt“). Zudem wird aktuell ein ganzer Flügel des Erweiterungsbaus der Helvetia durch die Uni belegt.
Für ein gutes Ergebnis und schlussendlich auch ein effizientes Vorgehen ist ein transparentes und ausgewogenes Vorgehen unabdingbar. Da lernt die Stadt hoffentlich schnell dazu.
Die aufgeführten Punkte beziehen sich aufs Projekt der Helvetia. Aber wie du bereits geschrieben hast, ist Ähnliches in vielen weiteren Fällen zu beobachten. Über einen persönlichen Austausch würde ich mich freuen. Hoffentlich schaffen wir bald die Kurve, dass sich die Stadt effizient, nachhaltig und auch im Sinne ihrer Bewohner weiterentwickelt!