VCS vs. TCS

Das Tagblatt hat sich die richtigen Interviewpartner für eine Diskussion ums richtige Verhältnis von Autos und Velos ausgesucht. Felix Blumer (VCS) und Luigi R. Rossi (TCS) werden sich nie finden. Beide sind zu tief in ihrer Ideologie gefangen. Zusammen repräsentieren sie zwei Pole, die sich inhaltlich abstossen, anstatt zusammenzuhalten und konstruktiv nach Vorne zu schauen.

Der Transparenz zuliebe hier mein Verkehrsverhalten:
Ich fahre nie Velo. Und ja, ich besitze ein Auto. Innerhalb der Stadt und für meinen Arbeitsweg nutze ich jeweils den öffentlichen Verkehr. Ich bin somit völlig neutral (heftiges Augenzwinkern)

Ein paar Punkte möchte ich gerne vertieft anschauen:

Verkehrswege Heute:

Die Stadt verfügt über eine Autobahn mit insgesamt 4 Ein- und Ausfahrten. Sie verfügt aber über keine durchgängige Verbindung für Velofahrer. Das Verkehrsnetz wurde über Jahrzehnte hinweg auf das Auto ausgerichtet und wird es auch heute noch. Das lässt sich sehr gut an der sehr schwierigen Entflechtung von Strassen, Busspuren und Velospuren erkennen. Reicht der Platz für ein Velostreifen nicht aus, dann gibts auch keine abgetrennte Spur, das Auto muss so gut wie gar nie zurückstecken. Sogar während Baubetrieb hält man an 4 Autospuren fest und stellt Tafeln mit Velo- und Fussgängerverbot auf (Beispiel: Unterer Graben). An vielen Orten in der Stadt muss heute viel Geld in die Hand genommen werden, um ein Nebeneinander der verschiedenen Verkehrsmittel zu ermöglichen (Aktuelles Beispiel: Zilstrasse). Es gibt kaum eine Sitzung im Stadtparlament, an der nicht über Verkehrswege (insbesondere Strassen) entschieden wird.

Mobilitätskonzept der Stadt St.Gallen

Im März 2010 hat das Stimmvolk ein Reglement für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung deutlich angenommen.

Quelle: Stadt St.Gallen

Daraus hat sich die Stadt 2016 ein Mobilitätskonzept verordnet. Es ist folglich nicht ein selbst auferlegter „Grüner“ Kurs, sondern ein klarer Auftrag.

Quelle: Stadt St.Gallen

Parkplätze

Luigi R. Rossi: In St.Gallen wurden so viele Parkplätze aufgehoben, dass der Autoverkehr bereits abnimmt. Das hat gravierende Folgen für unsere Innenstadt. Man schaue sich nur die leeren Ladenlokale an. Der Veloverkehr ist keine Lösung.

Hier irrt Herr Rossi (und Herr Blumer widerspricht ihm leider nicht) In der Stadt werden keine Parkplätze abgebaut.

Quelle: Stadt St.Gallen

Man erkennt in den beiden Grafiken klar, dass die Anzahl der zur Verfügung stehenden Parkplätze (ohne Private) mit der Anzahl Personenwagen in der Stadt Schritt gehalten haben. Seit bald 20 Jahren kommt 1 öffentlicher Parkplatz auf 3 Personenwagen.
Es dauert nicht mehr all zu lange, dann eröffnet am unteren Graben das UG25 mit insgesamt 332 neuen, zusätzlichen Parkplätzen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Es werden demnach mehr Parkplätze und nicht weniger. Auch wenn am Marktplatz oder später dann an der Bahnhof/Poststrasse Parkplätze aufgehoben werden.

Geht man noch einen Schritt weiter, dann stellt man fest, dass grundsätzlich für jedes 10. Auto in der Stadt ein Parkplatz in der Innenstadt zur Verfügung steht. Ebenfalls mit vernachlässigbaren Schwankungen

Damit man einen Vergleich hat, habe ich noch die Zahlen der Stadt Luzern hinzugefügt (ab 2005) – Quelle: LUSTAT – Statistik der Stadt Luzern

Rücksichtsloses Verhalten

Luigi R. Rossi: Nichts. Gar nichts. Der TCS organisiert seit Jahrzehnten Velounterricht für Schülerinnen und Schüler. Wir haben dafür viel Geld investiert. Was mich aber aufregt: Die Autoverbände versuchen mit allen Mitteln, Lenkerinnen und Lenker dazu zu bringen, sich an die Verkehrsregeln zu halten. Auf der anderen Seite sehe ich ständig Velofahrer, die durch die Fussgängerzone brettern, Rotlichter missachten oder über Fussgängerstreifen abkürzen.

Ja, auch ich stelle immer wieder fest, dass sich Velofahrer nicht an Verkehrsregeln halten. Da hat Herr Rossi sicher nicht unrecht, wenn er sagt, dass dieses Verhalten nicht sehr förderlich ist. Zumindest teilweise führe ich das Verhalten aber auch auf die fehlende Infrastruktur zurück. Würde man den Velofahrern ihr eigene Spur zur Verfügung stellen, dann kämen sie anderen Verkehrsteilnehmern weniger in die Quere.
Umgekehrt hat man sich beim Fehlverhalten von Autofahrern soweit entwickelt, dass man von „Abzocke“ spricht, wenn kontrolliert wird. Das zeigt sich auch bei den empörten Kommentaren, wenn an neuralgischen Stellen Geschwindigkeits- und Verkehrskontrollen durchgeführt werden. (660 Autofahrer innerhalb von 4 Tagen geblitzt) Nicht die Autofahrer, sondern die Polizei ist in den Kommentarspalten das Böse.
Ich bleibe dabei. Dem motorisierten Individualverkehr (MIV) wird viel mehr Platz zugestanden als den anderen Verkehrsteilnehmern. Dabei ist genau das eine Grundvoraussetzung für ein „Kollisionsfreies“ Nebeneinander.

Investitionen

Luigi R. Rossi: Ich habe nichts gegen Velos. Ihre derzeitige massive Bevorzugung ist für mich aber unakzeptabel. Ich setze Fragezeichen bei grösseren Velo-Investitionen, wenn ich sehe, dass auf der Lindenstrasse, nachdem sie Velostrasse wurde, die Zahl der Velofahrer abgenommen hat.

Ich kann leider nicht belegen, wie viel Geld in den letzten Jahren in Velowege und wie viel in den Autoverkehr investiert wurden. Vielleicht macht das mal jemand in der Stadt (VBSG wäre auch noch spannend)
Wenn ich aber in die Zukunft schaue und alleine die Engpassbeseitigung mit dem Liebeggtunnel anschaue (Investitionen von weit über 1 Milliarde!!!) dann dürfte das Velo zumindest finanziell kaum bevorteilt werden.

Quelle: Zubringer Güterbahnhof, Kanton St.Gallen

Intelligente Verkehrssysteme

Hier sehe ich bei beiden Herren die grösste Hürden. Es ist nach wie vor so, dass lieber in Teer und Beton investiert wird, als in Innovation und Technologie. Ein Beispiel ist für mich nach wie vor das Parkleitsystem. Die Velo-Befürworter befürchten, dass dadurch mehr Autos in die Stadt fahren und die Auto-Lobby verhält sich da ruhig und fordert lieber Parkplätze auf Vorrat anstatt die bestehenden effizient zu nutzen.

Das ist auch mein Fazit. Wer mit ideologischen Scheuklappen auf seiner Meinung beharrt, wird die Mobilitätsfragen/Probleme nicht lösen. Dass beide Herren nicht von ihrer Ideologie abweichen äussert sich in Aussagen wie „Ich habe nichts gegen Velos, aber….“ oder „Nein, wir wollen das Auto nicht verbieten, aber….“ – So funktioniert das leider nicht.