Stadtparlament: Den Piraten geweckt

Endlich, nach bald 10 Jahren aktiver Politik konnte ich mich in einem Parlament zu einem Thema äussern, das mich damals dazu bewogen hat, überhaupt aktiv zu politisieren. Als Ex-Pirat lag mir das Thema automatische Gesichtserkennung ganz besonders am Herzen. Auch dann, wenn ich nicht zu den Motionärinneninnen und Motionären gehörte. Hier geht mein Dank an die einreichenden Personen, die das heisse Eisen in die Hand genommen haben.

Um was geht es?

Die Motion verlangt von der Stadt, dass sie die gesetzlichen Grundlagen schafft, die Videoüberwachung auf öffentlichem Grund zu regeln und um ein Verbot betreffend Einsatz von biometrischen Gesichtserkennungssystemen durch städtische Organe im öffentlich zugänglichen Raum zu ergänzen.

In diesem Auftrag stehen ein paar sehr wichtige Dinge, die in der Diskussion im Stadtparlament arg ausgedehnt und weit über die Motion hinaus als Argumente für eine biometrische Gesichtserkennung genannt wurden.

Man muss die Motion schon lesen, damit man auch begreift was sie will. Denn sie wollte nie die bestehende Videoüberwachung entfernen. Sie wollte auch nie die Justiz einschränken, in dem sie ihr ein Verbot für eine manuelle Auswertung der Kamerabilder auferlegen wollte. Der Status Quo bleibt gewahrt.

Es geht einzig und alleine um den Einsatz von Software/Programmen, die mit Hilfe der Videoüberwachung automatisiert (ohne menschliche Interaktion) Gesichter (wobei eine solche Software noch weitaus mehr kann) scannt und mit Hilfe von Vergleichsdaten nach bekannten Gesichtern sucht.

Was muss man beachten?

Es gibt bei einer solchen Software ein paar Aspekte, denen man sich bewusst sein sollte. Einerseits kann eine solche Software präventiv eingesetzt werden. Das heisst, es ist weder eine Straftat passiert noch gibt es Anhaltspunkte, dass etwas passiert. Dazu gehört die sogenannte Echtzeitauswertung. Das heisst,die Software führt mit Livebildern von Kameras einen Abgleich durch.
Dann gibt es die Möglichkeit, die Software auf Videoaufnahmen (auch Fotos) anzuwenden, die in der Vergangenheit aufgezeichnet wurden. Das bedeutet, dass die Justiz bereits aufgezeichnetes Filmmaterial im Nachhinen scannt. Diese beiden unterscheidlichen Anwendungsfälle haben jedoch noch nichts mit Straftaten an sich zu tun, sondern sind funktionaler Bestandteil einer solchen Anwendung.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, wie die Software Treffer erkennt. Also wie identifiziert sie die Gesichter auf dem Bildmaterial. Dazu benötigt sie Vergleichsbilder der Personen, die sie finden soll. Das System muss also mit Bildmaterial gefüttert werden. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Die Behörden bekommen die Vergleichsbilder aus anderen Datenbanken. Das können nationale oder auch internationale Datenlieferanten (Behörden) sein. Oder sie kauft Vergleichsbilder von privaten Anbietern, die das Bildmaterial in den sozialen Medien zusammensammeln. Die dritte Variante ist die direkte Anbindung einer Software an die Socialmedia-Plattformen wie Instagram, Facebook, Tiktok usw.
Während man bei der ersten Datenquelle noch mit Vertrauen in die Justiz argumentieren kann, fällt das bei den anderen beiden Varianten weg. Was auch einige Vorfälle aus der Vergangenheit beweisen. Beispiel der Clearview-Skandal in den USA oder wenn wir noch einen Schritt weitergehen woll, der Skandal um Facebook und Cambridge Analytica, die es mit ihrer Datensammlung möglich machen, Bilder mit weiteren persönlichen Daten zu verknüpfen, so dass auf dem Monitor mit dem Bild-Treffer eben nicht nur Fotos eingeblendet werden, sondern auch gleich Hobbys, Familiäre Verhältnisse, Ferienreisen usw….

Im Stadtparlament hörte man das Argument, dass die Qualität der Überwachungsbilder unserer Kameras gar nicht ausreicht um eine automatisierte Gesichtserkennung durchführen zu können. Exgüsi, wenn ich lache. Aber was macht man dann? Man kauft neue Kameras, mit denen das möglich wird oder täusche ich mich?

Strafverfolgung vs. Sicherheitsempfinden

Häufig hört man, dass Kameras an den richtigen Stellen für mehr Sicherheit sorgt. Das vermischen leider sehr viele Befürworter mit der Aussage, dass durch die Kameras das Sicherheitgefühl steigt. Und ihr werdet mir recht geben müssen. Echte Sicherheit (es gibt keine Straftaten im Kamerabereich) ist nicht das Gleiche, wie ich fühle mich sicher wenn da Kameras sind. Nur kurz zum zweiten Punkt, der gefühlten SIcherheit:

Als Passant in der Stadt kann ich die Kameras erkennen. Ich sehe aber nicht, ob es sich um eine echte Kamera oder eine Attrappe handelt (und ja, diese Attrappen gibt es auch in der Stadt).

Kamera-Attrappe im Schmittengässlein (nach Aussage Stadtpolizei handelt es sich hier um eine Attrappe)

Ich sehe aber auch nicht, ob die Kamera in Betrieb ist oder nicht. Und ich sehe auf keinen Fall, ob im Hintergrund die Bilder in irgendeiner Form ausgewertet werden.
Das Sicherheitsgefühl entsteht also ausschliesslich durch das Vorhandensein von etwas, das wie eine Kamera aussieht und der Annahme, dass das Ding funktionsfähig und in Betrieb ist. Schon mal darüber nachgedacht?

Und noch zum, exgüsi dümmsten Vergleich, der im Stadtparlament vorgetragen wurde. Das ist das Überwachungsinstrument, dass die allermeisten von uns tagtäglich mit sich tragen. Das Smartphone. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass diese Geräte sehr viel über uns preisgeben, das sind wir uns alle bewusst. Diese Geräte sind aber freiwillig. Ich kann wählen, von welchem Hersteller es stammt. Ich kann wählen wo und wann ich es mit mir trage und welche Funktionen ich nutze. Ich kann wählen, ob ich weitere Apps installiere und ja, ich kann es auch ausschalten wenn ich will. Das alles kann ich bei Kameras nicht. Ich kann auch nicht zur Kamera hochschreien „Hey, Kamera, wer bin ich“ und bekomme zur Antwort, moment ich frage die biometrische Gesichtserkennung der Stadtpolizei, wer du bist….

Was mich jetzt im Nachgang am meisten freut. Das Thema wurde erneut in die Medien gespühlt und hat es bis zu 10vor10 geschafft.
Auch die Online-Kommentare zeigen, die Bevölkerung macht sich durchaus Gedanken zur stetig wachsenden Überwachung un dem Hochsicherheitsstaat, der lieber auf Technologie setzt anstatt auch die Gesellschaft aufzufordern ihren Beitrag zu leisten. Denn das ist die Folge. Man delegiert alles an den Staat (in diesem Fall sind das die bürgerlichen Kräfte, denen das sonst ein Graus ist) und übernimmt selber keine Verantwortung mehr

Aber solange es nur Fassaden sind, die überwacht werden….

Wie es aussieht, wenn man sich von privaten Überwachungskameras gestört fühlt, die den öffentlichen Raum filmen habe ich selber miterlebt. Das St.Galler Tagblatt hat darüber berichtet

Hier noch der Bericht von 10vor10 vom 15.9.2022

Und weil grad noch jemand ein ziemlich eindrückliches Projekt vorgestellt hat, was man mit Kamerabildern, Instagram und Open Source Software so anstellen kann gibts hier noch einen Nachtrag. Hier wurde der Livestream aus dem flämischen Parlament ausgewertet. Mit Hilfe einer Software wurden dann die Videobilder gescannt und die Zeit ausgewertet, die die Politiker im Saal mit Handy-Scrollen vebrachten.

Und das zweite Beispiel zeigt, wie mit Hilfe von Software öffentliche zugängliche Kamerabilder gescannt und die entsprechenden Szenen dann auf Instagram gesucht wurden. So kann man die Entsteheungsgeschichte des Instagram-Posts verfolgen inklusive dem was vorher und nachher geschehen ist. Und bitte seit euch bewusst, das ist eine SOftware, die jedermann zur Verfügung steht und die AUswertung wurde durch eine Privatperson vorgenommen: